roeren inside: mit Guido Lipinski, Geschäftsführer BDSV, über die neue ELV-Verordnung

Veröffentlicht am

roeren inside 01/2025

Wir freuen uns, Ihnen die erste Ausgabe unseres neuen Interviewformats roeren inside vorzustellen.

Mit roeren inside möchten wir Ihnen einen Einblick in die Themen geben, die uns in unseren Projekten bewegen und zugleich eine Plattform für Reflexion und den gemeinsamen Diskurs über aktuelle und zukunftsweisende Fragestellungen schaffen. Gemeinsam mit führenden Köpfen aus Wirtschaft und Wissenschaft beleuchten wir zentrale Aspekte aus den Kompetenzbereichen, die unseren Beratungsalltag prägen.

Simon Meitz und Tim Schneider im Dialog mit Guido Lipinski, Geschäftsführer BDSV

Die europäische Automobilindustrie befindet sich in einer wegweisenden Phase: Mit der neuen EU-Altfahrzeugverordnung (ELV) sollen Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit auf ein neues Niveau gehoben werden. Doch welche Herausforderungen bringt diese ambitionierte Richtlinie mit sich und wie praxistauglich sind die neuen Vorgaben wirklich? Um das herauszufinden, haben wir Guido Lipinski, Geschäftsführer des größten Stahlrecycling-Verbands in Europa (BDSV), zum Dialog eingeladen.

Gemeinsam mit unseren roeren-Experten Simon Meitz und Tim Schneider gibt er Einblicke in die Verwerterpraxis, beleuchtet Schwachstellen der ELV-Verordnung und zeigt konkrete Ansätze auf, wie regulatorische Anforderungen und wirtschaftliche Realität in Einklang gebracht werden können.

Erfahren Sie in dieser ersten Ausgabe von roeren inside, warum eine zukunftsorientierte Kreislaufwirtschaft nicht nur politische, sondern vor allem unternehmerische Strategien erfordert – und welche Weichen jetzt gestellt werden müssen, um nachhaltigen Erfolg in der Verwerterpraxis sicherzustellen.

Die neue ELV-Verordnung als Weg zur Kreislaufwirtschaft oder zahnloser Tiger? Eine klare Perspektive aus der Verwerterpraxis.

Simon Meitz: Herr Lipinski, Sie vertreten als Geschäftsführer des BDSV die Interessen von Unternehmen im Stahlrecycling und der Entsorgungswirtschaft. Die überarbeitete ELV-Verordnung bringt strengere Recyclingvorgaben und neue Regelungen für die Autoverwertung mit sich. Können Sie uns einen Überblick über die aktuellen Herausforderungen und größten Problemfelder bei der Autoverwertung geben?

Guido Lipinski: Die Herausforderungen sind vielschichtig. Einerseits müssen wir uns auf die strengeren Recyclingvorgaben vorbereiten, insbesondere bei Kunststoffen. Andererseits stellen uns die geplanten Verpflichtungen zur Bauteilentnahme vor enorme praktische Probleme. Hinzu kommen Fragen der Finanzierung, da die erweiterte Herstellerverantwortung nicht klar genug geregelt ist. Unsere Branche steht unter Druck, sich sowohl regulatorisch als auch operativ neu auszurichten.

Auch die langen Fristen bei der Übergabe von Altfahrzeugen an zertifizierte Verwertungsanlagen sind aus unserer Sicht überhaupt nicht nachvollziehbar.

Darüber hinaus sehen wir Probleme in der Umsetzung der neuen Vorgaben zur Abmeldung von Fahrzeugen. Diese soll zukünftig nur noch mit einem Verwertungsnachweis möglich sein, wie es das Gesetz ja bereits jetzt eigentlich vorschreibt. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, setzt jedoch voraus, dass die entsprechenden Prozesse auch von den zuständigen Behörden effizient umgesetzt werden können. Ohne konsequente Kontrollen bleiben die neuen Regelungen ein zahnloser Tiger.

Tim Schneider: Lassen Sie uns bei den Fristen bleiben. Der Vorschlag, Altfahrzeuge bis zu einem Jahr bei Sammelstellen zu lagern, stößt auf Kritik. Was genau sehen Sie als Risiken dieser Regelung?

Guido Lipinski: Die Risiken sind gravierend. Eine so lange Frist führt dazu, dass Fahrzeuge teilweise ausgeschlachtet werden, bevor sie die Verwertungsanlagen erreichen. Das betrifft vor allem wertvolle Komponenten, die häufig illegal entnommen werden. Hinzu kommt, dass Schadstoffe wie Öle oder Batterien unsachgemäß gelagert werden könnten, was Umweltprobleme verschärft. Auch die Wiederverwendung von Fahrzeugteilen wird durch solche Verzögerungen erheblich erschwert. Eine kurze Frist von einem Monat wäre hier eine sinnvolle Lösung.

Darüber hinaus müssen Sammelstellen besser kontrolliert werden. Es darf nicht passieren, dass Fahrzeuge einfach „verschwinden“, bevor sie korrekt verwertet werden. Hier sehen wir auch die Hersteller in der Verantwortung, sicherzustellen, dass ihre Fahrzeuge auf dem vorgesehenen Weg entsorgt werden.

Simon Meitz: Ein weiteres zentrales Thema sind die Recyclingquoten. Die ELV-Verordnung fordert, dass mindestens 30 % des Kunststoffanteils in Altfahrzeugen recycelt werden, doch gleichzeitig müssen Hersteller nur 6,25 % Rezyklate in Neufahrzeugen einsetzen. Wie bewerten Sie diese Diskrepanz?

Guido Lipinski: Diese Diskrepanz ist nicht nur unlogisch, sondern kontraproduktiv. Die Abfallbewirtschafter werden gezwungen, hohe Recyclingquoten zu erreichen, während die Hersteller kaum Anreize haben, diese Materialien zu nutzen. Das erschwert den Aufbau von stabilen Sekundärmärkten und sorgt für hohe Lagerkosten. Wir brauchen eine Harmonisierung dieser Quoten, sodass recycelte Materialien effektiv in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen können und nach einiger Zeit auch eine Evaluierung der Machbarkeit der neuen Quoten.

Aber vor allem braucht es hier ausreichende Übergangsfristen, denn die heute zurückkommenden Fahrzeuge enthalten nicht gekennzeichnete und vielfach verschiedene Kunststoffe, deren Verwertung wirtschaftlich überhaupt nicht möglich ist. Wenn die Automobilindustrie heute beginnen würde, im Sinne eines Designs für Recycling die Kunststoffe im Auto einzubauen, dann dauert es noch ca. 15 Jahre bis diese Autos anfangen bei den Verwerterbetrieben anzukommen.

Was aber auf keinen Fall passieren darf, ist, dass die Quoten für die Automobilindustrie im laufenden Prozess noch entfallen, aber bei den Verwertern verbleiben.

Tim Schneider: Die ELV-Verordnung beinhaltet die Verpflichtung zur Demontage bestimmter Bauteile Was sind hier die größten Herausforderungen für die Verwerter?

Guido Lipinski: Die Liste der Teile, die zwingend vor dem Schreddern entfernt werden müssen, ist umfangreich. Doch nicht alle diese Anforderungen sind praktikabel. Bei Unfallfahrzeugen ist die Demontage oft technisch unmöglich. Hinzu kommt, dass für viele Teile kein Markt existiert, was zu unnötigen Kosten führt. Diese Vorgaben sollten flexibler gestaltet werden, sodass nur solche Teile entfernt werden, deren Recycling oder Wiederverwendung realistisch ist.

Besonders problematisch ist auch das mögliche Verbot der Vermischung von Altfahrzeugen mit anderen Abfällen, wie metallischen Verpackungsmaterialien oder Elektroschrott, im Schredderprozess. Obwohl die Materialien oft ähnliche Eigenschaften haben, führt die Verpflichtung zum Mono-Schreddern zu höheren Lager- und Transportkosten sowie zusätzlichen CO2-Emissionen. Hier sollten wir pragmatisch vorgehen.

Simon Meitz: Ein zentraler Aspekt der neuen ELV-Verordnung ist die erweiterte Herstellerverantwortung. Welche Verbesserungen wären hier aus Ihrer Sicht notwendig?

Guido Lipinski: Die Hersteller müssen stärker in die Pflicht genommen werden. Positiv zu bewerten ist die Übernahme finanzieller Verantwortung durch die Hersteller, wie sie in der neuen ELV-Verordnung grundsätzlich angestrebt wird. Es reicht allerdings nicht aus, die Kosten nur dann zu übernehmen, wenn Verwertungsanlagen Verluste machen. Wir brauchen für Bauteile deren Entfernung verpflichtend ist, nicht nur die Deckung der Kosten, sondern in jedem Fall einen positiven Business Case für die Verwerter!

Wichtig ist auch, dass Hersteller und Verwertungsanlagen paritätisch in den Entscheidungsprozessen vertreten sind, um eine faire Balance der Interessen sicherzustellen. Hier droht ob der Marktmacht der Hersteller im Verhältnis zu den Verwerterbetrieben ein erhebliches Ungleichgewicht.

Tim Schneider: Lassen Sie uns abschließend über die Gesamtstrategie sprechen. Was sind Ihre Vorschläge, um die Branche nachhaltig und wettbewerbsfähig zu gestalten?

Guido Lipinski: Wir müssen die Regularien so gestalten, dass sie sowohl effektiv als auch praktikabel sind. Das bedeutet kürzere Fristen für die Übergabe von Altfahrzeugen, eine Harmonisierung der Recyclingquoten und realistische Vorgaben zur Bauteilentnahme. Gleichzeitig sollte die Finanzierung durch die Hersteller klar geregelt sein. Mit diesen Anpassungen können wir nicht nur die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, sondern auch Innovation und Effizienz in unserer Branche vorantreiben.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Weiterbildung der Verwerter. Die Anforderungen an die Branche steigen stetig und nur durch gezielte Schulungsprogramme können wir sicherstellen, dass alle Beteiligten auf dem neuesten Stand sind. Initiativen wie die iSM-Seminare, die wir im Verband anbieten, sind hier ein wichtiger Baustein, genauso wie unsere Leitfäden für die Umstellung der Verwerter auf die Elektromobilität.

Tim Schneider: Herr Lipinski, wir danken Ihnen für diese detaillierten und aufschlussreichen Einblicke. Ihre Perspektive zeigt, wie wichtig es ist, die aktuellen Herausforderungen in einer breiten Diskussion anzugehen. Wir freuen uns darauf, Ihre Impulse weiter in die Debatte einzubringen!

Über unseren Gast

Volljurist und Syndikusrechtsanwalt Guido Lipinski

ist Geschäftsführer bei der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen e.V. und dort neben vielen anderen Themenfeldern für die Fachgruppe Autorückmontage (FAR), dem bundesweiten Autoverwerterverband zuständig. Mit über 16 Jahren Erfahrung in den verschiedensten Tätigkeitsfeldern der Recyclingwirtschaft ist die funktionierende Kreislaufwirtschaft, mit dem Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie, seine klare Zielsetzung. Nicht nur bei den sich ständig verändernden rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch bei der Umsetzung in der (genehmigungsrechtlichen) Praxis begleitet er in seiner Tätigkeit als Verbandsgeschäftsführer die Stahlrecyclingwirtschaft in Deutschland.

Unsere roeren-Experten im Bereich Kreislaufwirtschaft

Kreislaufwirtschaft ist ein zentraler Kompetenzbereich von roeren. Durch jahrelange Erfahrung in unserer Projektarbeit und den kontinuierlichen Austausch mit unterschiedlichen Branchen konnten wir fundiertes Wissen aufbauen und Lösungen generieren. Heute setzen wir dieses Know-how gezielt ein, um nachhaltige Konzepte voranzutreiben, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und Projekte der R-Strategien zur Schließung von Kreisläufen umzusetzen.

Dipl. iur. oec. univ. Simon Meitz

ist Leiter Strategie Kreislaufwirtschaft und Produktionssysteme bei roeren sowie Strategieberater mit über 15 Jahren internationaler Erfahrung in Europa, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar. Als Co-Gründer von EYCarbon und Mitglied des Sustainability Steering Committee Europe West trieb er bei EY ESG-Initiativen im Kontext von Regulatorik und industriellen Stakeholdern voran. Dabei setzte er Impulse für Nachhaltigkeit und Innovation. Simon Meitz ist Autor mehrerer Fachpublikationen, darunter Beiträge zu Dekarbonisierung und grüner Transformation. Als Speaker und Interviewpartner vermittelt er immer wieder seine Expertise zu Nachhaltigkeitsthemen. In seiner Rolle als Startup Mentor unterstützt er zudem beispielsweise das XPRENEURS Gründerprogramm der UnternehmerTUM.

Tim Schneider, M. Sc.

ist Manager und Prokurist bei roeren sowie Experte für Logistik und Produktion im Kontext der Circular Economy. Mit fünf Jahren in der Logistikbranche und nahezu zehn Jahren Beratungspraxis konzipiert der Ingenieur zirkuläre Geschäftsmodelle und effiziente Reverse Supply Chains, die zur Schließung von Rohstoffkreisläufen beitragen. Tim Schneider hat umfangreiche Erfahrung bei der strategischen Entwicklung, Business Case Design und Implementierung von nachhaltigen Geschäftsmodellen in der Automobilindustrie. Er unterstützt die weltweit größten Automobilunternehmen bei der Umsetzung geschlossener Kreisläufe. Auch setzt er sich vor dem Hintergrund neuer regulatorischer Rahmenbedingungen für den Aufbau von strategischen Partnernetzwerken und Ökosystemen ein.

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