Wir freuen uns, Ihnen die dritte Ausgabe unseres Interviewformats roeren inside zu präsentieren.
Mit roeren inside geben wir Ihnen Einblick in die Themenbereiche, die uns in unseren Projekten bewegen. Damit möchten wir zugleich eine Plattform für Reflexion und den gemeinsamen Diskurs über aktuelle und zukunftsweisende Fragestellungen schaffen. Gemeinsam mit führenden Köpfen aus Wirtschaft und Wissenschaft beleuchten wir dafür zentrale Aspekte aus den Kompetenzbereichen, die unseren Beratungsalltag prägen.
Wasserstoff gilt als einer der zentralen Energieträger der Zukunft – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Denn während die Wasserstoffindustrie stetig wächst, stellen sich im Bezug auf den Standort Deutschland nach wie vor zentrale Fragen: Wie sieht beispielsweise ein sicherer und wirtschaftlicher Umgang mit H₂ aus? Welche regulatorischen Hürden müssen (produzierende) Unternehmen berücksichtigen? Und wie kann der Hochlauf schnell gelingen?
Maximilian Bedynek, Account Manager Hydrogen bei TÜV SÜD, ist ein zentraler Ansprechpartner, wenn es im Hinblick auf Wasserstoff um Fragen wie diese geht. Im Gespräch mit unserer Expertin Dr. Sandra Grohmann erklärt er, welche konkreten Fragestellungen Unternehmen beschäftigen, warum technologische Innovation allein nicht reicht und wie sich Industrie, Politik und Zertifizierer gemeinsam für eine erfolgreiche Wasserstoffzukunft aufstellen müssen.
Dr. Sandra Grohmann:
Herr Bedynek, bevor wir inhaltlich einsteigen, interessiert uns natürlich zuerst: Was hat Sie persönlich zum Thema Wasserstoff geführt und was fasziniert Sie daran besonders?
Maximilian Bedynek:
Wasserstoff ist für mich der Schlüssel zu einer nachhaltigen und CO₂-neutralen Zukunft. Er verbindet erneuerbare Energien mit vielfältigen Anwendungen in der Industrie, der Mobilität und darüber hinaus. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und liebe die Natur. Wenn ich einmal in Rente gehe, wünsche ich mir eine Welt, die mindestens so lebenswert ist wie heute. Was mich am Wasserstoff besonders fasziniert, ist die eigentliche Innovationskraft, die weltweit und insbesondere in Europa und Deutschland auf diesem Gebiet vorhanden ist. Viele kluge Köpfe arbeiten daran, Wasserstoff effizienter und nachhaltiger zu nutzen. Das begeistert mich sehr.
Dr. Sandra Grohmann:
Das kann ich sehr gut nachvollziehen. In der Wasserstoffindustrie tätig zu sein, ermöglicht es in besonderer Weise einen nachhaltigen Beitrag zu leisten und interdisziplinär zu arbeiten. Bleiben wir bei Deutschland. Was macht den Standort aus Ihrer Sicht vor allem spannend für Wasserstoff?
Maximilian Bedynek:
Deutschland hat eine starke Industrie und wir wollen, dass das so bleibt. Dafür ist eine Transformation notwendig. Deutschland hat eine klare Wasserstoffstrategie, exzellente Forschungseinrichtungen und sehr gute regulatorische Rahmenbedingungen. Das sind ideale Voraussetzungen, um in diesem Technologiefeld eine führende Rolle einzunehmen. Zudem ist Wasserstoff ein hervorragender Speicher für überschüssige Energie aus Wind, Sonne und Wasser. Auch wenn über den Wirkungsgrad diskutiert wird: Wasserstoff kann Energie zuverlässig speichern und damit Industrie und Mobilität gleichermaßen bei der Transformation helfen.
Dr. Sandra Grohmann:
Welche Industrien stehen dabei aus Ihrer Perspektive in Deutschland im Fokus?
Maximilian Bedynek:
Allen voran ist das natürlich der Schwerlast- und Schienenverkehr. Auch die Automobil- und Stahlindustrie sind große Themen mit Potenzial.
Dr. Sandra Grohmann:
Wir beobachten entsprechend der „Clean Hydrogen Ladder“ auch noch zahlreiche Aktivitäten im Bereich der Chemieindustrie, wo sich große Chancen bieten, blauen und grauen durch grünen Wasserstoff zu ersetzen. Großes Potenzial bieten die „Chemiedreiecke“, in denen viele Unternehmen derzeit noch mit fossilen Varianten arbeiten. Übergreifend gibt es ein Thema, das sowohl alle Industrien und Anwendungen als auch besonders Sie betrifft: Genehmigungen und Zertifizierungen. Was funktioniert bereits gut und was sind die derzeit größten Hürden?
Maximilian Bedynek:
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Deutschland – auch im internationalen Vergleich – regulatorisch schon viel erreicht hat. Es gibt auch zahlreiche bestehende Normen, wie etwa die ISO oder die ANSI aus den USA. In der Praxis gibt es aber immer noch große Unsicherheiten: Welche Richtlinie gilt wann? Was genau muss getestet werden? Welche Materialien dürfen verwendet werden? Gerade Unternehmen, die bisher wenig mit Wasserstoff zu tun hatten, haben viele Fragen. Genau hier setzen wir von TÜV SÜD an. Wir begleiten Unternehmen, helfen bei der Einordnung der Anforderungen, prüfen Komponenten und begleiten durch den gesamten Zertifizierungsprozess.
Dr. Sandra Grohmann:
Gibt es eine Frage, die Ihnen von Unternehmen und Kunden besonders häufig gestellt wird?
Maximilian Bedynek:
Ja, und die lautet „Muss ich das testen?“. Oder wir werden gefragt „Wie genau muss ich das testen?“. Das sind typische Einstiegsfragen. Viele unserer Kunden haben bereits industrielle Erfahrung, aber eben nicht im Umgang mit Wasserstoff. Sie wissen, dass Zertifizierungen notwendig sind, aber nicht, welche konkret oder wie sie effizient durchgeführt werden können.
Dr. Sandra Grohmann:
Das heißt, Ihre Arbeit beginnt oft noch vor der Zertifizierung?
Maximilian Bedynek:
Ganz genau. Viele Kunden kommen zunächst mit der Bitte, eine Komponente zu prüfen. Ist sie wasserstofftauglich? Müssen wir etwas anpassen, bevor wir in die Zertifizierung einsteigen? Diese Vorstufen sind essenziell und bieten oft wertvolles Optimierungspotenzial.
Dr. Sandra Grohmann:
Wie bewerten Sie Deutschland im internationalen Vergleich?
Maximilian Bedynek:
Deutschland ist sehr gut aufgestellt, keine Frage. Aber es gibt Länder, die in bestimmten Bereichen schneller sind, zum Beispiel bei Genehmigungsprozessen. Die Niederlande haben bereits ein beeindruckendes Netz aufgebaut, auch im Verhältnis zur Größe des Landes. Japan ist ohnehin technologischer Vorreiter, hat eine dichtere und besser funktionierende Wasserstoffinfrastruktur als Deutschland. Deutschland muss sich an Best Practices orientieren, ist aber grundsätzlich auf einem guten Weg.
Dr. Sandra Grohmann:
Der Ausbau der Infrastruktur ist ein fundamental wichtiges Thema, welches auf nationaler Ebene im Rahmen des Wasserstoff-Kernnetzes wie auf europäischer Ebene durch das EHB vorangetrieben wird. Was beobachten Sie im Hinblick auf Infrastruktur und Mobilität?
Maximilian Bedynek:
Die Mobilitätswende kann nur mit einem gezielten Ausbau der Infrastruktur gelingen. Vor allem im Schwerlastverkehr und im Schienenverkehr sehe ich enormes Potenzial. Bei TÜV SÜD zertifizieren wir sowohl Einzelkomponenten, Elektrolyseure, H2-Motoren als auch ganze Systeme – zum Beispiel für Züge. Hier tut sich derzeit viel im Bereich der Wasserstoffzüge. Diese sind vor allem für nicht-elektrifizierte Strecken interessant: Sie stoßen nur Wasserdampf oder – wenn es Wasserstoff-Verbrennungsmotoren sind – durch einen SCR-Katalysator gefilterte Stickoxide aus. Sie benötigen zudem keine Oberleitungen, haben eine hohe Reichweite und können schnell betankt werden. Für bereits elektrifizierte Strecken bleibt Strom meist effizienter – aber dort, wo eine Elektrifizierung unwirtschaftlich ist, kann Wasserstoff eine sinnvolle Alternative sein.
Dr. Sandra Grohmann:
Wie verhalten sich die Unternehmen im Wasserstoffmarkt? Wer schreitet voran und wo wird im Gegensatz dazu im Sinne des „first-mover disadvantage“ gezögert?
Maximilian Bedynek:
Der Infrastruktursektor ist derzeit sehr aktiv. Das liegt natürlich auch daran, dass ohne Infrastruktur keine Produktion und keine Mobilität möglich ist. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass das Interesse im Automobilbereich wieder zunimmt. Der Markt ist riesig. Von der Wasserstoffproduktion bis zum Einsatz in Transport und Industrie. Wann der große Hochlauf kommt, ist schwer zu sagen. Aber wir beobachten ein wachsendes Interesse von kleinen Unternehmen bis hin zu OEMs.
Dr. Sandra Grohmann:
In den vergangenen Jahren konnten wir beobachten, wie der Wasserstoffmarkt wächst und zunehmend an Reife gewinnt, auch wenn der Hochlauf nicht in der ursprünglich erwarteten Geschwindigkeit und Dynamik stattfindet. Wie optimistisch sind Sie, dass Wasserstoff seinen Durchbruch schafft?
Maximilian Bedynek:
Ich bin sehr optimistisch, weil ich viel Engagement sehe. In der Industrie, in der Forschung und zunehmend auch in der Politik tut sich etwas. Was wir jetzt brauchen, sind drei Dinge: klare regulatorische Leitplanken, eine funktionierende Infrastruktur und Investitionssicherheit für die Unternehmen. Wenn wir diese drei Punkte umsetzen, wird sich der Markt dynamisch entwickeln. Das Potenzial ist jedenfalls da.
Dr. Sandra Grohmann:
Vielen Dank für diesen spannenden Austausch, Herr Bedynek, und Ihre persönlichen Einblicke.
Maximilian Bedynek:
Ich danke Ihnen. Es war mir eine Freude.
Maximilian Bedynek, Hydrogen Professional (Nano Degree), Bachelor Professional (CCI)
ist ausgewiesener Wasserstoffexperte bei TÜV SÜD. Als Account Manager verantwortet er komplexe Entwicklungs- und Zertifizierungsprojekte und bringt dabei langjährige Industrieerfahrung in den Bereichen Clean Mobility und Wasserstofftechnologie mit. Nach seiner Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker durchlief er verschiedene Stationen bei Faurecia, unter anderem als Global Benchmark Coordinator und Program Sales Manager. Als international tätiger Projektleiter und ausgebildeter Versuchsmechaniker verbindet er technisches Know-how mit wirtschaftlichem Verständnis und strategischem Handeln. Mit seinem berufsbegleitenden Zusatzstudium in Wasserstofftechnologien verfolgt er konsequent seinen Anspruch, die Energiewende aktiv mitzugestalten.
Dr.-Ing. Sandra Grohmann
ist Projektmanagerin und Expertin für Wasserstofftechnologien und Kreislaufwirtschaft bei roeren. Die promovierte Chemie-Ingenieurin bringt über fünf Jahre Erfahrung in der Wasserstoffindustrie und zehn Jahre Erfahrung im Umfeld produzierender Unternehmen mit. Ihr Fokus liegt auf der strategischen Entwicklung, Industrialisierung und Skalierung technischer Lösungen im Produktionskontext. Im Bereich Wasserstoff berät sie Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Technologieauswahl über Prozessdesign bis zur Umsetzung konkreter Anwendungen. Durch ihre interdisziplinäre Denkweise verbindet sie technologische Tiefe mit wirtschaftlicher Relevanz. Sie setzt sich mit Begeisterung für den Markthochlauf von Wasserstoff als Schlüsseltechnologie der Energiewende ein.